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Dritte Fassung 1998
Uraufführung am 24.7.1998,
Deister-Freilichtbühne, Barsinghausen
Der Text existiert als Spielerheft
19.Jh., im Deister wird von der privaten Blume-Gesellschaft Kohle abgebaut, am Erlös verdient der Verpächter, die Klosterkammer, mit. Nun wollen auch die Bürger Barsinghausens im Gemeindeforst, der ihnen vom Kloster zur Nutzung überlassen wurde, Kohle fördern. Die Klosterkammer lehnt ab. Ein jahrelanger Rechtsstreit beginnt. Die Bürger graben schon mal. Es gibt heftige Konflikte. Auch unter Tage setzen sich die gegnerischen Bergleute handgreiflich auseinander.
In dieses Geschehen platzt 1848 eine moderne Familie. Beim Picknick hat der geniale Sohn durch metaphysische Spielereien einen Zeitsprung veranlasst.
Die in Deutschland gärende Revolution ist auch am Deister eingetroffen. Die Bergleute der Gemeinde trinken sich Mut an und bewaffnen sich mit Knüppeln und bestürmen den Amtshof. Da erfahren sie das Prozessergebnis: Sie dürfen Kohle fördern.
In dieser sich zuspitzenden Lage stoßen die Eltern und Kinder der zeitversetzten Familie auf eine Anzahl Bürger und Bauern und lassen sich auf Reibereien in der Kneipe ein oder verhelfen einem Wissenschaftler zur Erfindung der Glühbirne oder verbreiten feministisches Gedankengut oder verlieben sich gar in einen der wilden Bergarbeiter und wollen deshalb in der Vergangenheit bleiben.
Die Mutter hat alle Hände voll zu tun, die Familie zusammenzuhalten, und der geniale Sohn schafft den Sprung zurück in die Neuzeit.
Neynaber | ( verschwindet geschäftig durch Tür, laut singend ) "Ihr kennt ihr Aug und ihre Züge, Ihr kennt die Andalusierin. Ihr wißt, daß ich im Arm sie wiege, Vom Abend bis zum Morgen hin." |
Im weiteren Fortgang hört man das Singen nur sehr verdeckt, dumpf, Text unverständlich. | |
A. Rasche (ruft hinterher) | Vergiß nicht den Schnaps! |
A. Garbe | Und wieg sie nicht so lang, die Andalusierin. Wir haben Durst - Durst - Durst - - ( ... ) |
Aufführung auf der Deister-Freilichtbühne bietet Rückschau in die Barsinghäuser Geschichte
Störungen gibt es auch in der Gesellschaft
Von Christine Fischer
Auf den ersten Blick geht es in dem Stück „Verwerfungen oder Nun lache wieder, Sophie!“ von Roland Schreyer, das am Freitagabend seine erfolgreiche Uraufführung in der Deister-Freilichtbühne feierte, um die Auswirkungen der Revolution von 1848 auf Barsinghausens Bergbau – ein „Kohlestück“ eben. Hält doch der Vater der Familie Schultze gleich zu Beginn des Stückes lange Vorträge über die Zeit vor 150 Jahren und platzt die Familie nach ihrer kleinen Zeitreise mit Hilfe von Goethes Hexeneinmaleins auch prompt in die Gespräche zwischen Heinrich Göbel (Wulfram Schacht), dem späteren Erfinder der Glühlampe, und Professor Mönighausen (Berndt Wollnik) sowie König Ernst August und den Revolutionären. Dennoch entsteht in der Inszenierung von Gerd Peiser und Angelika Richter ein über die reine Kohleproblematik hinausgehendes Spiegelbild der damaligen Gesellschaft.
( … )
„Verwerfungen“ sind, geologisch gesehen, Störungen im Gestein. In Barsinghausen wurden diese beim Kohleabbau durchbrochen, und Wasser drang in die Schächte. Ein Fall für die Tüftler Mönighausen und Göbel.
Die verzweifelte Suche nach Möglichkeiten zur Behebung dieser Störungen lenkt in Roland Schreyers Drama den Blick auf die Störungen im gesellschaftlichen und politischen Bereich. So entfaltet sich ein vielschichtiges Stück, in dem auch die Stellung der Frau – der Bergmannsfrauen wie die der höheren Töchter gleichermaßen – beleuchtet wird. So entsteht auf der Bühne ein Kaleidoskop der damaligen Barsinghäuser Gesellschaft. Während sich die Witwe Oltmann (wunderbar standesbewusst: Julia Tabert) um die Brautkrone ihrer Tochter und die fehlende „Noblesse“ ihrer Zimmer sorgt, stehen die Bergmannsfrauen im Hintergrund, waschen Wäsche und wissen nicht, wie sie ihre Kinder sattbekommen sollen. Auch bei den Männern geht es nicht zimperlich zu – Konflikte werden schon mal mit der Faust ausgetragen, und die Sprache ist deftig. Nach einigen Schnäpsen kommt es dann auch zum großen Aufruhr, der kurioserweise gar nicht mehr nötig ist, weil die Klosterkammer bereits auf ihre Ansprüche verzichtet hat.
Frauen sind zum Arbeiten oder Repräsentieren da. Und so erklärt sich auch der erweiterte Titel „Nun lache wieder, Sophie!“. Der Versuch von Sophie (überzeugend jungmädchenhaft und schwärmerisch: Birthe Dannenberg), ernstgenommen zu werden, scheitert kläglich. Ihr Bräutigam, Advokat Wilhelms (trockener geht’s nicht: Carsten Wiederhold), lässt sie kaum ausreden, fasst ihr unter das Kinn und sagt: „Nun lache wieder, Sophie!“ Nicht ohne vorher auszuführen: „Geliebt zu werden ist das Ziel der Frauen: ihr ganzes Glück heißt: lieben …“
Reizvoll in der Inszenierung von Gert Peiser und Angelika Richter ist, dass sie das dialogträchtige Stück durch viele Aktionen auf der Bühne beleben. Eine Strategie, die in der ausverkauften Freilichtbühne gut angekommen ist – es gab viel Applaus auch zwischendurch und heiteres Lachen, wenn der Advokat sich über den Niedersachsen auslässt („akzeptiert gerade so viele Nachbarn, wie er zum Tragen seines Sarges benötigt“), der Pastor (Klaus-Detlef Richter) ausführt: „Frieden gilt mehr als alles Recht“, oder ein Beibauer (Thomas Engelbrecht) ausruft: „Das ist ja wie in der Paulskirche …“ Zum Schluss der Vorführung gab es herzlichen, lang anhaltenden Beifall.
Von Kerstin Schneider
Barsinghausen. „Nicht schon wieder einen Vortrag“, stöhnt Konstantin Schultze (Oliver Reese), als sein Vater Robert (Otto Böse) bei einem Picknick im Deisterwald an das Jahr 1848 erinnert – an den Konflikt der Kohleabbaurechte zwischen der Klosterkammer und der Gemeinde Barsinghausen.
Konstantin, ein fixer Junge der Neuzeit, hantiert an seinem Laptop und schlägt Eltern und Schwester nur so aus Jux vor, einen mystischen Kreis zu bilden.
Plötzlich ertönt ein Donnergrollen, und Nebelschwaden ziehen über die Waldbühne. Aus den Lautsprechern hört das Publikum in der beinahe ausverkauften Freilichtbühne eine bekannte Melodie aus der Science-Fiction-Serie „Raumschiff Enterprise“.
Die Familie befindet sich zwar räumlich noch am selben Ort, aber in einer anderen Zeit. Im Jahr 1848.
Just hatten die Bergarbeiter Prügel von den „Blumes“, den Mitarbeitern des Hofsteinhauermeisters August Wilhelm Blume, bezogen und wetterten über die allgemein schlechten Arbeitsbedingungen im Kohlebergbau: „Eine Mordsarbeit, die Gänge sind so flach, dass man nur liegend arbeiten kann. Da reißt du dir den ganzen Körper auf“, schildert einer der Bergarbeiter seinen Kumpanen die Lage.
Den Zuschauern wird schnell deutlich, dass das Leben vor 150 Jahren alles andere als leicht gewesen sein muss. Ein Bergarbeiter verdiente so wenig, dass das Geld nicht ausreichte, um die Familien zu versorgen. Die Frauen und auch die Kinder mussten mitarbeiten.
Regisseur Gerd Peiser und Regieassistentin Angelika Richter haben das Spiel um die Kohleabbaurechte als offenes Bühnenstück gestaltet. Die Schlüsselszenen finden im Vordergrund statt. Das eigentliche Dorfleben, in dem die Frauen ständig etwas zu tun haben oder die Kinder Ziegen hüten, wird während der Aufführung nicht unterbrochen.
Um den politischen Konflikt, in den die großen Umwälzungen des Revolutionsjahres ebenso einfließen wie der Ärger mit der Klosterkammer, spinnt sich die Geschichte zwischen Sophie (Birthe Dannenberg) und dem Advokaten Eduard Wilhelms (Carsten Wiederhold).
Er wird sie heiraten, sie weiß nicht, ob sie ihn liebt.
Wirklich zu verstehen ist der Hintergrund des Kohlestücks nur, wenn man sich etwas näher mit der Problematik befasst oder zumindest das Programmheft genau studiert hat.
Trotzdem ist „Verwerfungen oder Nun lache wieder, Sophie!“ ein wunderschönes Stück Zeitgeschichte mit viel Witz, Charme und liebevollen Details umgesetzt.
Beeindruckend sind dabei die Leistungen aller Darsteller.
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Von Evelyn Beyer
Barsinghausen. Zeitreise beim Picknick: Auf der Deister-Freilichtbühne geraten die Schultzes der 90er Jahre in die Aufstände von 1848. ( … )
„Blut soll fließen, knüppeldick!“ schwören die wütenden Männer beim Schnaps, rücken mit Fackeln und Mistgabeln zum Amtshof vor. Doch da gibt’s gute Nachrichten – und die Revolte wird vorerst beendet. All das ist geschichtlich belegt: Germanist und Historiker Roland Schreyer, Studienrat an der Gesamtschule Barsinghausen, hat für sein Stück gründlich die Archive durchstöbert.
„Alle Personen haben historische Vorbilder oder sind quellengetreu nachgezeichnet“, versichert Charlotte Heins von der Freilichtbühne. An der Figur des Heinrich Göbel etwa, dem in Springe geborenen Erfinder der Glühbirne, ist nur dessen Besuch in Barsinghausen erfunden.
Mehr als 40 Mitwirkende spielen in historischen Kostümen zwischen originalgetreuen Fachwerkhaus-Fronten. Viele Handlungsstränge laufen hier zusammen: der Streit zwischen Gemeinde und Klosterkammer um Kohleabbaurechte, die schlechtbezahlte Arbeit der Bergarbeiter, deren Leben durch Wassereinbrüche bedroht war; das lockende angebliche Glück in Amerika – und schließlich die beginnende Aufklärung, die das Königtum Hannover unter Ernst August erreichte.
Die Aufbruchstimmung unter den Idealen Freiheit und Gleichheit steckte Bürgerkinder ebenso an wie das Ernst August-Töchterchen Sophie.
Viel Information und nicht nur markige Sprüche wie „Beim Schnaps hört die Feindschaft auf“ oder „Was habt ihr Männer nur da in den Köpfen, wo das Hirn sein sollte“ machen das Stück sehr unterhaltsam. Auch die Familie Schultze von heute, die durch die Rechenkunststücke des computerbegeisterten Söhnchens ins Jahr 1848 gerät, bildet einen witzigen Kontrast zur Historie.
Vor allem aber bringt das lebhafte Spiel der Deister-Amateure jede Menge Flair zwischen das Tannengrün. Regisseur Gerd Peiser von der Landesbühne hat ausgezeichnete Arbeit geleistet.