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- Der rote Knick
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Erstaufführung
4. Juli 1997
anlässlich des 90sten Geburtstages
der SPD Barsinghausen
Das Stück existiert als Spielerhandbuch
Es umfasst das Theaterstück sowie ausführliche Anmerkungen, die Gegenstände und Ereignisse des thematisierten Zeitraumes erklären
Diese Szene hält einen Moment fest, als die Bergarbeiter um Konrad Bühre, wie an jedem Sonntag, in seiner Stube im roten Knick zusammenkommen, um ihr Bier zu trinken und über die Ereignisse unter Tage und über die ungerechten Entscheidungen der Bergwerksleitung zu reden. Man spricht offen, trotz der vielen Polizeispitzel, die es gibt. Unzufriedenheit mit der eigenen Lage drückt sich aus. Die deutlichsten Worte findet Wilhelmine Bühre, die Ehefrau, die währenddessen Hausarbeit verrichtet.
Die Männer trinken und reden sich in Rage. Sie empören sich darüber, dass ihre Gewerkschaftsvertreter sich beschwatzen lassen, und dass nichts geschieht, um ihre Sicherheit unter Tage zu verbessern. Viele kommen im Berg um. Und die Lage verschlechtert sich immer mehr. Der Obrigkeit, bis hin zum Kaiser, ist nur daran gelegen, mit Unterstützung der Kirche, demütige Untertanen zu erziehen und diese für das Wohlergehen der Kapitalisten arbeiten zu lassen.
Schließlich kommt das Gespräch auf den Widerstand, den die Sozialdemokraten im benachbarten Linden organisieren. Man will es ihnen gleichtun. Man ist entschlossen: Die Arbeiter werden sich gegen die Mächtigen verbünden. Eine Ortsgruppe soll gegründet werden.
SCHÜDDEK. | Ein Schweineleben. |
MENSING | Der Bergmann trägt sein Sterbehemd täglich auf dem Leib. |
BÜHRE | Immerhin hat Kaiser Wilhelm telegrafiert, er sei tiefgerührt und man solle der Bevölkerung den Ausdruck seiner Trauer und seine herzlichste und wärmste Teilnahme übermitteln. |
WILHELMINE | Wie schön. Dafür können wir uns dann was kaufen. „Tiefgerührt“! Und die von der kaiserlichen Rührung tiefgerührten und gezähmten Lumpenhunde von der Gewerkschaftsspitze fangen an, sich in der bürgerlichen Gesellschaft bürgerlich einzunisten, statt sie radikal umzuwälzen. Es ist still. |
BÜHRE | Immer mehr frage ich mich - und nicht nur weil meine Minna mich deshalb seit Jahren drängt -, ob ich genug für unsre Sache tue. Und ich für meinen Teil muss ehrlich zugeben: Es ist nicht genug. Letztendlich ducken und kuschen wir doch vor der Obrigkeit, wie sie’s will. Wie die Ratten kriechen wir in die Löcher im Berg und wie die Ratten werden wir dann mit Fußtritten verjagt, wenn wir angedienert kommen und für die Schinderei im Berg gerechte Entlohnung wollen. Wie ich es sehe, haben wir die Wahl zwischen weiter ducken und vor den Scharfmachern und unseren Arbeitgebern im Staub zu kriechen – oder andererseits aufzustehen und zu zeigen: Hier stehen Menschen! Menschen, die das gleiche Recht auf Licht und Freiheit haben wie andere in ihrem feinen Zwirn. |
BADE | Bravo! |
BÜHRE | Jetzt leben wir, um zu arbeiten. Das kann es aber nicht sein. Unsere Kinder sollen mal sagen können, dass sie arbeiten, um zu leben. Und - wollen wir vielleicht unser Leben wegschenken, an einen wie den Bergrat Schlosser mit seinen Gendarmen und seinen geistlichen Helfershelfern. |
RAGGE | Ha - an den Pastor Möller! |
SCHÜDDEK. | Oder an den tiefgerührten Kaiser von Gottes Gnaden? |
BÜHRE | Nein, und nochmals nein! |
WILHELMINE | Beiseite zu Maria Wenn man ihn so reden hört und nicht hinsieht, könnte man ihn für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in einer Person halten. Nach dem fünften Bier wird er sogar noch besser. |
MARIA | Sei nicht so streng mit ihm. Ihm ist es wirklich ernst. Es ist, als würde sich das alles anstauen in ihm, und auf einmal bricht es |
WILHELMINE | Erst skeptisch Taten sprechen meist lauter als Worte. |
Beim Kampflied singt die „alte Garde“ fröhlich mit
Von Christine Fischer
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Es erwies sich als gute Idee, die Gründungsszene nicht vielfach in Vorträgen zu zelebrieren, sondern locker in szenischer Form darzustellen. Roland Schreyer schrieb mit „Der rote Knick“ ein kurzes und unterhaltsames Theaterstück, das unter der Regie von Angelika Richter wohl als Höhepunkt des Festes gelten kann. Ortrud Behnsen, Jürgen Grunow, Astrid Wortmann, Hartmut Schaper, Stefan Seeger, Horst Nonnenkamp und Manfred Otterstätter zählten zu dem Ensemble, das die Besucher in das Jahr 1907 in die Bergmannsküche der Familie Bühre entführte.
Wilhelmine Bühre und Maria Brandes sind bei der Hausarbeit. Inmitten von Wäschebergen und hölzernen Bierkästen eröffnen die beiden Frauen, die zunächst nicht erahnen lassen, welche Zivilcourage in ihnen steckt, die Szene gemeinsam mit „Minchens“ Ehemann Conrad. Schüchtern und ein wenig stockend werden so den Zuschauern zunächst die politischen Verhältnisse kurz nach der Jahrhundertwende vorgestellt. Nach und nach trifft nun die übliche Sonntagnachmittagsrunde ein, zu der auch Karl Schüddekopf und Fritz Mensing gehören.. Man isst, trinkt und kommt ins Plaudern. Der deutsche Kolonialismus wird ebenso angesprochen wie der Militarismus und die Emanzipation der Frauen, doch bleibt’s bei der Küchentischplauderei, was in diesem Rahmen sicher das richtige Maß ist.
Denn eigentlich geht es ja um die unhaltbaren Zustände daheim, um die Barsinghäuser Bergleute. Bewegung kommt ins Stück, als Heinrich Bade und Wilhelm Ragge hereinstürzen. Ein Unfall ist passiert und bildet den Anlass, über die Arbeitsbedingungen der Kumpel nachzudenken, über die Versorgung Hinterbliebener und über die unhaltbaren politischen Zustände, Wahlmanipulationen und Erziehung zum „Maulhalten“.
Damit wird die Diskussion am Küchentisch fast zur reinen Männersache und immer hitziger. Dank Otterstätter, der mit seinem Messer beim Essen wild gestikuliert, und dem trockenen Humor Seegers alias Karl Schüddekopf wird die Szene ungemein plastisch und erhält das nötige Quäntchen Witz. Schließlich beschließen die Männer, aufgestachelt durch die Frauen (Minchen: „Taten sprechen meist lauter als Worte.“) nichts mehr zu schlucken und eine SPD-Ortsgruppe zu gründen. „So wie wir Bergleute im roten Knick hier, so sollten alle Arbeiter in Barsinghausen mit einer einzigen Stimme sprechen“, deklamiert Bühre.
Einig ist sich die Küchenrunde und stimmt das Kampflied „Wir sind die junge Garde des Proletariats“ an, in das die Zuschauer prompt einfallen.. Einige von ihnen nahmen dabei selbstironisch die Festgesellschaft aufs Korn und sangen von der „alten Garde“.
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