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Zweite und vermehrte Auflage
Umschlag:
„Anna“ von Anna Discala
Illustrationen:
Sechs Bleistiftzeichnungen von Günter Ludwig
BoD verlag, Norderstedt
ISBN 978-3-8482-3903-0
Taschenbuch, 15,90 €
Kindle Edition, 8,49 €
In den Archiven des Auswärtigen Amtes und des BND ließen sich Akten aufspüren, die, Baustein für Baustein, eine Rekonstruktion der frühen Jahre des Politikers und Liebhabers Harry Voss, seine Zeit als vorbehaltloser Glückssucher, ermöglichen. Ihre hier vorliegende literarisierte Auswertung wirft ein Licht auf Harry Voss’ manchmal vagantenhaftes Leben, auf sein hellhöriges und oft erstauntes, auch bewunderndes Wahrnehmen seiner Mitmenschen, nicht zuletzt der Frauen, mit denen er denkwürdige Erfahrungen teilt. Die 49 Miniaturen (von 1974-1989) sind darüber hinaus ein anschauliches Dokument des Alltags in der Bonner Republik.
Es begann friedlich. Sie hatten Platz gefunden an einem der Café-Tische unten am Paul-Lincke-Ufer. Manchmal tropfte es klebrig aus der Krone der riesigen Linde über ihnen herab. Vögel umkreisten die Krone. Man hörte sie nicht. Zu laut war der Verkehrslärm von der Kottbusser Brücke her und vom anderen Ufer des Landwehrkanals herüber, wo Warenstände aufgereiht waren und die Verkäufer sich mit Werbegeschrei überboten und die Käufer sich drängelten.
»Honigtau«, sagte sie kennerhaft und wunderbar entspannt und wischte mit der Fingerspitze einen Tropfen weg. »Läusepipi.“
Sie hatte sofort ihr langstieliges Ebenholzpfeifchen herausgeholt und stopfte den winzigen Kopf diskret aus einem indianischen Lederbeutel. Ihre Finger waren wie selbstständige Wesen. Er war vernarrt in sie. Sie glichen einem Detail aus einem beliebigen Barockgemälde. In unendlicher Geduld und mit feinstem Pinsel von einer Artemisia Gentileschi oder einem Correggio festgehalten, die sich für alle Ewigkeit in die grazilen Hände ihres Modells verliebt hatten.
Ihre Gelöstheit ließ eine angenehme Stunde erwarten. Ihr gleich anschließendes spitzes »Nett, dass du mal mit mir ausgehst. Selten genug!« aber beseitigte die aufkeimende Hoffnung augenblicklich.
(Aus: Keine Almosen am Paul-Lincke-Ufer)