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Erste Auflage
Umschlag:
Jürg Egli
Text, Illustrationen und Ausstattung :
Verlag Sauerländer,
Aarau und Frankfurt am Main
ISBN 3-7941-2175-9
Simon, 16-jährig, träumt sich in der Schule und zu Hause immer mehr in seine eigene Welt. Diese Welt ist bestimmt von Monika. Er kennt jede Einzelheit ihres Gesichtes, kennt jede ihrer Bewegungen, ihre Art zu denken und zu reden. In der Schule sitzt er ihr gegenüber. In seiner Phantasie hat er ihr schon tausendfach erklärt, wie es um ihn steht – aber nie schafft er das wirklich. Endlich meint er einen Weg gefunden zu haben, seine Ängstlichkeit abzuschütteln. Das Mädchen, das nichts von allem ahnt, weiß erschrocken mit seiner Annäherung nichts anzufangen, trifft sich aber doch neugierig mit ihm. Und Simon, aus Angst, auch nur ein Wort von seinen Gefühlen sprechen zu müssen, versucht ihr durch einen waghalsigen, idiotischen Balanceakt über einen Brückenbogen zu imponieren.
So beginnt die Erzählung. Sie folgt den beiden, wie sie zu Hause und mit ihren Freunden, im Unterricht, in der Stammkneipe, auf dem Rummel, beim Angeln und Flippern umeinander herumgehen. Und schließlich hat Simon eine neue Idee …
Es war an dem Tag im Mai, an dem sie ja immer noch lebten. Eckhard hatte das einfach so gesagt, hatte in seinem Heft erst: Fünfte Klassenarbeit geschrieben, ihn dann nach dem Datum gefragt und dann gesagt: 31. Mai: Dann leben wir ja immer noch. Kein Weltuntergang. Simon hatte gerade ausgerechnet gehabt, dass er den 5864. Tag seines Lebens lebte, Quersumme fünf: Er hätte es lieber lassen sollen. Aber es war Maiende und kein Weltuntergang und Klassenarbeit und Monika in weißen Söckchen. In so was wie einem Rock hatte Simon sie noch nie gesehen. In der Stunde der Klassenarbeit sah er mindestens ebenso oft auf die weißen Söckchen wie auf die vielzuvielen leeren Linien im Arbeitsheft. Nicht nur weil das linke Söckchen oben ein bisschen umgeklappt war. Er dachte sich ihre schmalen Beine als Stiele von Margeriten, er sah kurze feine Haarspitzen: die Beine passten zu den Armen, er würde gerne darüber streichen, mit den Fingern. Es war heiß, und Simon wusste eigentlich eine ganze Menge zu sagen, er hätte einen wunderschön französischen Französischaufsatz schreiben können, wären nicht die unschuldigen Söckchen immer zwischen seinem Französisch herumgewandert.
Genau da ist es dann passiert, dass Simon einfach, als Monika mal rübersah, in seine Richtung, auf eine Stelle hinter ihm an der Wand oder direkt zu ihm, vielleicht, dass Simon sie einfach angesehen hatte, ohne gleich wieder wegzugucken, es war ungeheuer schwer, und er hatte ihr einmal ganz langsam und einmal überstürzt, weil er gleich wieder wegsehen musste: Ich liebe dich! zugeflüstert. In Gedanken, mit aller Kraft. Jedenfalls spürte er das Hinübergehen der Worte, fühlte sich ertappt, beschämt, stolz, hungrig, satt, und sein Französischaufsatz wurde einfach nicht fertig.
( … )
Hsz. „Dazwischen Unruhe“ heißt der anspruchsvolle Jugendroman des niedersächsischen Lehrers Roland Schreyer, ein subtiles und unkonventionelles Buch über das Erwachsenwerden, über die Schwierigkeiten beim Versuch, erste Beziehungen aufzubauen. Erzählt wird die Geschichte des 16-jährigen Simon, der sich in einer Traum- und Phantasiewelt einnistet, weil er Angst hat, der Mitschülerin Monika, Zentrum seiner Gefühle und Gedanken, die scheue Liebe zu gestehen. Wie er das ahnungslose Mädchen endlich doch zu einem Rendez-vous einlädt, bringt er kein Wort heraus, sondern versucht Monika mit halsbrecherischem Turnen auf einem Brückenbogen zu imponieren.
( … ) „Wie hatte er sich Verliebtheit ausgemalt: Blitz und Donner und Erstarren, und man fällt sich in die Arme (…) Aber jetzt. Alles war verdammt anders. Man fühlte sich einfach mies.“ Keine Romantik und keine himmelhochjauchzende Glückseligkeit, sondern eine Entlarvung der verlogenen, glitzernden Disco-, Schlager- und „Bravo“-Welt. Schreyer nimmt die jugendlichen Leser ernst, schildert mit genauer Kenntnis und großem Einfühlungsvermögen den realistischen Alltag junger Menschen. Schwierigkeiten und Enttäuschungen klammert das Buch nicht aus, zeigt sie aber als Quelle von Hoffnung, Widerstand und Reifung. Schreyers lebendiger, frischer Stil orientiert sich an der Schülerumgangssprache. „Dazwischen Unruhe“ lehrt kein „gutes Deutsch“, weckt aber Lust zu Sprache, Form und Ausdruck, zu Büchern und Literatur.
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Der Titel ist gut gewählt, denn dem Autor gelingt es vor allem, die Unruhe spürbar zu machen, die das neue, rätselhafte Gefühl Liebe in Simon und Monika weckt. Von Beruf Lehre, besitzt Schreyer zweifellos viel Verständnis für Halbwüchsige und ihre Probleme, und es mutet daher wie eine Fleißaufgabe an, dass er sich ganz bewusst einer etwas aus den Fugen geratenen Diktion bedient, um seine Leser alle Ungereimtheiten, alle Träume, Hoffnungen und Enttäuschungen in der ersten Beziehung zweier Sechzehnjähriger nachempfinden zu lassen.